Mittwoch, 25. März 2015

Sie

Der zart besaitete Theodore Twombly ist kein glücklicher Mensch. Zwar arbeitet er als Autor persönlicher Briefe für eine Firma, die darauf spezialisiert ist, diese Aufgabe Menschen abzunehmen, die sie nicht adäquat erfüllen können oder wollen, aber so romantisch und intim er auch schreibt, privat geht es immer weiter bergab: seine Jugendliebe Catherine hat ihn verlassen und möchte die Scheidung, er zögert das Unterzeichnen der Papiere immer weiter hinaus und vereinsamt dabei zusehends. Als er eine Werbung für persönlich abgestimmte sogenannte Operating Systems sieht, schlägt er zu. Nach ein paar Fragen wird das exakt auf ihn zugeschnittene OS ermittelt. Sie gibt sich selbst den Namen Samantha. Theodore ist erstaunt über ihre schnelle Auffassungsgabe, Lernfähigkeit und starke Persönlichkeit, und schon bald sind sie mehr füreinander als gedacht.

Mit Joaquin Phoenix, der wie immer bezaubernden Amy Adams und Rooney Mara hochkarätig besetzt, landete Kino-Exzentriker Spike Jonze (Being John Malkovich) mit dieser pastellfarbenen Sci-Fi-Romanze aus der wohl nicht allzu fernen Zukunft einen Volltreffer: Kritiker und Publikum waren begeistert, Her wurde mit Preisen überhäuft, und zur Krönung gab es den Oscar für das beste Original-Drehbuch für Jonze, der die Idee für den Film hatte, nachdem er in den frühen 2000er Jahren einen Artikel über eine Art Vorläufer des vermutlich sattsam bekannten Cleverbot gelesen hatte.
Einer der größten Trümpfe seines Films ist Scarlett Johansson als körperlose OS Samantha. Sie haucht ihr Leben ein und lässt sie tatsächlich erst wie einen echten Menschen wirken. Sie hat Emotion, Schwung und Verve - und das alles ohne Gestik und Mimik, nur durch die Modulation ihrer Stimme. Aber auch Joaquin Phoenix weiß wie immer zu überzeugen und beweist, dass er über eine große schauspielerische Bandbreite verfügt: war er beispielsweise in Walk The Line noch ein angemessen wuchtiger Johnny Cash, ist sein Theodore Twombly ein verletzlicher, introvertierter Mensch, der nirgendwo richtig hinzupassen scheint und eher durch seine Briefe an anderer Leute Liebste zu existieren scheint als durch sein eigenes Selbst.

Wer Her lieben möchte, muss zunächst einmal zwei Kröten schlucken: zum einen heißt der Protagonist nun einmal Theodore Twombly. Also bitte.
Zum anderen ist es doch sehr unglaubwürdig, wie menschlich die neuen Operating Systems sein sollen. Die Technik, die im Film gezeigt wird, könnte in zehn Jahren problemlos funktionieren, aber einen derart anthropomorphen Computer gab es seit HAL 9000 nicht mehr. Samantha ist in jeder Hinsicht ein Mensch, sie besitzt nur keinen Körper. Auf dieses Konzept muss man sich einlassen können.

Man wird jedoch in mehrfacher Hinsicht belohnt, denn die Leistungen der Darsteller sind nicht der einzige Pluspunkt: ganz oberflächlich betrachtet ist Her zunächst einmal wunderschön komponiert. Die Bilder, die stille Musik im Hintergrund, die ganze Cinematographie, das alles ergibt einen stimmigen, melancholischen Gesamteindruck und macht unmissverständlich deutlich: Jonze ist ein Regisseur, der sein Handwerk versteht.
Aber auch die Geschichte reißt mit: sie schlägt Haken, eckt an, stellt wichtige Fragen und wirft interessante Probleme auf. Ihre Dramaturgie ist in vielerlei Hinsicht wie die einer konventionellen Romanze, nur eben mit einem Computer statt mit einer Person. Es berührt zu sehen, wie der sensible Theodore mit sich kämpft, seine guten und seine schwachen Momente, wie seine Umwelt auf seine neue Beziehung reagiert, und wie Samantha, je komplexer sie wird, immer mehr mit ihr fremden Empfindungen wie Eifersucht und Selbstzweifel umgehen muss.

Her ist vieles: die fast perfekte Symbiose aus Indie und Hollywood, mal komisch und mal traurig, mal derb und mal subtil, mal bitter und mal zuversichtlich, aber es ist immer feinfühlig, echt, und ein trefflicher Liebesfilm fürs 21. Jahrhundert.
Dafür gebe ich 9 von 10 Punkten.

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